Alp Plazér: Hier könntest du dem Wolf und dem Bären begegnen
Alp Plazér: Hier könntest du dem Wolf und dem Bären begegnen
Wir haben von Wölfen und Bären gehört, die auf der Alp Plazér im Unterengadin ihr Unwesen treiben sollen. Nicht, dass wir ihnen zu nahe kommen wollen. Aber die Gegend verspricht ein Abenteuer. Und dieses beginnt bereits vor der Ankunft auf der Alp.
Was, wenn das Geröll ins Rutschen kommt?
Um auf die Alp zu kommen, muss man erst den Weiler S-charl erreichen. Bei der Auto- oder Postautofahrt von Scuol nach S-charl zweifelt man stark daran, dass es hier hinten noch eine Art Zivilisation geben sollte. Die rund 13 Kilometer lange Strasse von Scuol nach S-charl gleicht einer Schotterpiste. Im Winter soll S-carl nur per Pferdeschlitten erreichbar sein. Die Fahrt führt durch gewaltige Geröllschluchten. Hier hat die Natur das Sagen. Die Zweifel verstärken sich. Sind wir hier wirklich richtig? 13 Kilometer kommen uns wie eine Ewigkeit vor. Was, wenn das Geröll ins Rutschen kommt? Ein Gedanke, der gar nicht so weit von der Realität entfernt ist, wie wir später erfahren sollten.
Geschafft! Jetzt gibt's erst mal eine Stärkung
In S-charl angekommen, spüren wir eine grosse Erleichterung. Wir haben das auf 1800 Metern über Meer gelegenen Sommerdorf, eine ehemalige Bergbausiedlung, erreicht. Im Restaurant des Hotels Mayor gönnen wir uns erst einmal einen Kaffee und «Znüni». Wanderer und Biker ziehen vorbei. Die Gegend ist im Sommer eine beliebte Destination.
1904 wurde der letzte Bär geschossen - nun ist er wieder da
Gestärkt machen wir uns auch auf den Weg. Unser Ziel ist die Alp Plazèr. Es ist eine leichte Wanderung bis zur Alp. Der Weg steigt leicht an. Begleitet werden wir vom Rauschen des Wildbachs Clemgia, der an der Grenze zum nahen Südtirol entspringt und bei Scuol in den Inn mündet. Nach gut drei Kilometern zweigt der Weg nach links ins Val Plazér zur Alp Plazér in Richtung Cruschetta ab, dem Übergang zur italienischen Grenze. In dieser Gegend wurde am 1. September 1904 der letzte Schweizer Bär geschossen.
Seit 2005 wandern in regelmässigen Abständen Braunbären aus dem nahegelegenen italienischen Nationalpark Adamello Brenta (Trentino) in die Schweiz ein. Die Chance einen Bären zu sehen ist aber gleich null. Da ist der Wolf schon eher ein Kandidat für ein Zusammentreffen. Das Amt für Jagd und Fischerei des Kanton Graubünden hat auf seiner Internetseite eine Karte aufgeschaltet, auf der die aktuellen Beobachtungen beschrieben sind.
Was, wenn wir dem Bären und Wolf wirklich begegnen?
Diesen Grossraubtieren in freier Wildbahn zu begegnen ist wie gesagt eher unwahrscheinlich. Aber wenn? Was dann? Auf der Webseite von Engadin.ch gibt es Verhaltenstipps bei der Begegnung mit Bären und Wölfen. Die Grossraubtiere sind scheu, bemerken Sie Menschen, ziehen sie sich zurück.
Kommt es trotzdem zu einer Begegnung, sollte man nicht in Panik geraten, sondern langsam und ruhig den Rückzug antreten. Greift der Bär an, sollte man sich flach und regungslos auf den Boden legen, den Nacken mit den Händen schützen und warten, bis sich der Bär wieder entfernt hat. Wölfe soll man mit Klatschen und lauten Sprechen in die Flucht jagen können. Nützt das nichts, macht man sich gross, schreit ihn an und wirft ihm etwas nach.
Tönt nach grossem Kino. Wir bleiben auf dem Pfad. Das ist für die Tiere und für uns am sichersten. Würden wir der Clemgia weiter folgen, kämen wir auf zur Alp Tamagur, mit dem höchstgelegenen Arvenwald Europas. Der intensive Geruch der Arven mit ihren langen Nadeln liegt hier überall in der Luft. Herrlich.
Der Weg steigt an und führt durch ein schattiges Arvenwäldchen. Dann sehen wir die Rinderhütte der Alp Plazér. Und viele Autos. Was ist denn hier los?
Schäfchenzählen, nichts für Schlafmützen
Wir treffen ein, als gerade eine grosse Schafzählung stattfindet. 400 Schafe werden hier gealpt.
Der Südtiroler Hirt Stefan trieb die Tiere zuvor mit seinen drei Border Collies zur Rinderhütte auf 2061 Meter über Meer hinunter. Nun stehen die Schafe in einem Pferch und werden von Helfern und Besitzern der Schafe einzeln durch einen Treibgang getrieben und auf ihren Gesundheitszustand kontrolliert und entwurmt.
Es fehlen Schafe - hat sie der Wolf gerissen?
Nach der Zählung wird festgestellt, dass 16 Tiere fehlen. Risse hatte Martin, der Alpmeister und Pächter der Alp, in dieser Saison zum Glück noch keine zu beklagen. Er will auch nicht vom Schlimmsten ausgehen.
Die Tiere hätten sich vielleicht irgendwo abgesetzt. Hirt Stefan hat auch schon eine Ahnung, wo sie sich aufhalten könnten. Der Wolf holt sich – trotz Herdenschutz – immer wieder mal Beute. Seit der Wolf vor rund 25 Jahren in die Schweiz zurückgekehrt ist, wächst sein Bestand. Aktuell leben rund 80 Tiere in verschiedenen Kantonen. Wölfe verletzen und töten jährlich zwischen 300 und 500 Schafe und Ziegen.
Maremmano-Abruzzes zum Schutz der Herde
Der Alpmeister setzt zum Schutz seiner Herde vor Wolf und Bär Herdenschutzhunde ein. Die Hunde der Rasse Maremmano-Abruzzes hat er selbst ausgebildet. Drei dieser weissen grossen Hunde bewachen die Herde auf der Alp.
Eine Hündin hat im Frühling sechs Junge bekommen. Für Nachwuchs ist also gesorgt. Die Welpen werden meist in der Herde geboren und somit von Anfang an in eine Schafherde integriert. Zwischen Schafen und Hunden entsteht eine gegenseitige Akzeptanz. Die Hunde betrachten die Schafe als ihresgleichen und bewachen sie. Der Hund stellt sich zwischen Herde und Eindringling.
300 Kilo Hundefutter mit dem Heli geliefert
Die Alp Plazér umfasst 1000 Hektaren. Allerdings sind «nur» 500 Hektar produktiv. Die Schäferhütte von Hirt Stefan liegt rund 500 Meter oberhalb der Rinderhütte. Das Gelände ist steil und steinig und nur zu Fuss erreichbar. Rund eine Stunde Weg liegen zwischen der Schäfer- und der Rinderhütte. Im Frühling transportiert ein Helikopter Nahrungsmittel für den Hirten, 300 Kilo Hundefutter – ein Kilo pro Tag pro Hund – und das Salz für die Schafe zur Hirtenhütte.
Für die 200 Rinder und Mutterkühe ist ein anderer Hirt zuständig. Er verbleibt während der Alpzeit in der Rinderhütte, die mit einem guten Allradfahrzeug erreichbar ist. Allerdings nur mit Bewilligung der Gemeinde.
Wegen Unwetter mit dem Heli ins Tal
Die Sonne ist hinter Wolken verschwunden. Es wird merklich kühler. Und plötzlich öffnet der Himmel seine Schleusen. Der Spuk ist nach ein paar Minuten vorbei. Doch es bleibt kühl. Für solche Wetterkapriolen hat der Alpmeister ein müdes Lächeln übrig und erinnert sich an ein Jahr, als die Helfer nach der Schafzählung mit dem Helikopter aus dem Tal geflogen werden mussten. Unwetter verursachten Erdrutsche im Val S-charl, die Strasse nach Scoul wurde an mehreren Orten verschüttet und blieb eine Woche unterbrochen. Es war nicht das erste Mal dass das Tal durch Erdrutsche tagelang von der Aussenwelt abgeschnitten war. Unser Gedanke, das Geröll könnte ins Rutschen kommen, war also nicht so abwegig.
Nach dem Mittagessen im Alp Beizli, machen wir uns wieder auf den Weg.
Für eine Bärensichtung ins Museum
Bären und Wölfe haben wir keine gesehen. In S-charl gibt es aber ein Museum, das eine Ausstellung über den Bären in der Schweiz widmet. In der Nähe des Museums bietet der neue Bärenerlebnispfad weitere Einblicke in die Lebensweise des Grossraubtiers.
Infos über die Alp und Wandertipps:
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