Scott MacRury ist ein Crofter auf den Äusseren Hebriden. Ich traf ihn auf der Insel Lewis und Harris, westlich des schottischen Festlands. Das war im Sommer 2019, die Temperaturen befanden sich unter zehn Grad Celsius. Wer hier lebt, muss hart im Nehmen sein. Der Crofter hält Schafe und webt Stoff für Harris Tweed. Es war eine eindrückliche Begegnung.
Der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Die baumlose Moorlandschaft und die ungezähmten Küsten sind von schlichter karger Schönheit. Der Wind weht rücksichtslos von allen Seiten. Eine enge Strasse führt von einen Ort zum anderen. Manchmal steht ein Schaf auf der Fahrbahn. Schafe sind hier zahlreich, Häuser und Menschen nicht.
Der Atlantik wirft einen Steinwurf entfernt, seine Wellen ans Ufer. Hier in South Galson, einem kleinen Dorf, 15 Kilometer von der nördlichsten Spitze (Butt of Lewis) der Äusseren Hebriden und 32 Kilometer von der östlich gelegenen Inselhauptstadt Stornoway entfernt, lebt Scott MacRury mit Frau und Kindern. MacRury ist ein Kleinfarmer, ein sogenannter Crofter. Ein Croft umfasst ein Haus und zwischen zwei bis fünf Hektaren Land.
Crofter sind selten selbst die Besitzer des Grundstücks. Der Farmer bezahlt eine Pacht, ist verpflichtet das Land zu bewirtschaften und zu pflegen. Er hat aber im Gegenzug die Sicherheit, dass der Betrieb über Generation weitergegeben werden darf. Dies ist seit 1886 im britischen Gesetz verankert. Zuvor kam es zu gewaltsamem Landvertreibungen der ansässigen Bevölkerung durch Gutsherren aus dem Tiefland, die das Land für eine flächendeckende Schafzucht selbst in Anspruch nehmen wollten. Heute gibt es in den Highlands etwa 18 000 Crofts, das sind rund 30 Prozent der Haushalte. Rund 770 000 Hektaren werden auf diese Weise bewirtschaftet.
MacRury hält Blackface-Schafe, eine, für Schottland typische ursprünglichen Schafrasse. Die Wolle verkauft er auf dem britischen Wollmarkt, das Fleisch an einen lokalen Metzger. Was ist profitabler für ihn, Wolle oder Fleisch? «Fleisch», sagt er und lacht. Von Profit könne jedoch nicht die Rede sein.
Von seinen Schafen allein kann MacRury nicht leben. Wie die meisten Crofter gehen er und seine Frau einem Nebenerwerb nach. Er arbeitet zusätzlich als Postbote und Weber. Die Weberei ist auf den Äusseren Hebriden traditionell verbreitet. Auf den Inseln stehen rund 250 Webstühle, 90 Prozent davon auf Lewis. In einer Baracke neben dem Wohnhaus steht ein Webstuhl. Es ist eng hier drin. An der Wand hängt eine vergrösserte Fotografie von ihm und seinen Schafen. Es zierte 2017 einen Beitrag im «National Geographic» unter dem Titel «Generation zwischen Vergangenheit und Zukunft». Die Landwirtschaft plagt, wie vielerorts in Schottland, Nachwuchssorgen. Es gibt kaum Perspektiven. Die Jungen ziehen weg von den Inseln, MacRury ist geblieben.
Der Tweed ist aus reiner Schurwolle und wird auf einem mechanischen Trittwebstuhl von Hand gewebt. Es braucht Kraft in den Beinen, um den Webstuhl mit den Pedalen in Bewegung zu bringen. Die Fadenspulen schiessen hin und her, die Metallschäfte und Schiffe rattern und klacken, und sausen von einem Ende des Webstuhls zum anderen. Das Garn stammt aus der Shawbost Mühle, einer der drei Mühlen der Insel. Nach dem Weben wird der Tweed zur Fertigstellung in die Mühle zurückgebracht. Nur Stoff von den Äusseren Hebriden darf sich Harris Tweed nennen. Modedesigner auf der ganzen Welt arbeiten mit diesem Stoff.
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